Mittwoch, 19. November 2014

Helfen ist einfach. Was tust Du?

Auf meinem Schreibtisch steht ein großes Glas voller Briefmarken. Jedem Praktikanten, der mir im Laufe des Jahres gegenüber sitzt,  erkläre ich es von neuem: Nein, Briefmarkensammeln ist nicht mein Hobby. Ich sammele Briefmarken für einen guten Zweck.

Ist das Glas voll, kippe ich den Inhalt in einen Umschlag und schicke ihn an die Von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel. Adresse: Bethel Briefmarkenstelle, Quellenhofweg 25, 33617 Bielefeld. In dieser Einrichtung sichten und sortieren behinderte Menschen die eingesandten Briefmarken, um sie anschließend an Sammler in aller Welt zu verkaufen. So kommt nicht nur finanziell etwas für den guten Zweck zusammen, sondern so werden auch 125 Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen geschaffen.

Mich kostet das Ganze nicht viel Mühe, nur zweimal im Jahr eine Briefmarke für 145 Cent. Zudem habe ich festgestellt: Fürs Briefmarkensammeln ist das Büro der beste Platz. Jeden Tag kommt ein ganzer Haufen Briefe und trotz Frankiermaschinen tragen viele noch richtige Marken. Mir macht es mittlerweile echt Spaß darauf zu achten. Wem das Ausschneiden jedoch zu viel Arbeit ist, der kann die leeren Briefumschläge auch komplett nach Bethel schicken. Helfen ist also nicht schwer.

Weshalb ich das erzähle? Weil Weihnachten langsam näher kommt und das eine tolle Zeit ist darüber zu reden, wie man mit geringem Aufwand Gutes tun kann. Vielleicht schickt ja bald noch jemand seine Briefmarken nach Bielefeld.

Gerne freue ich mich aber auch auf Eure Anregungen, wie man - besonders im Büro - etwas für eine bessere Welt bewegen kann. Es muss ja noch mehr geben als fair gehandelten Kaffee und die Sache mit den Marken.

Ach übrigens: Die Bodelschwinghschen Stiftungen gibt es bereits seit 1867. Im Dritten Reich wurde hier eines der größten Verbrechen, der Massenmord an behinderten Menschen, von einem mutigen Psychiater öffentlich gemacht. Hab ich vor einigen Wochen etwas zu gebloggt.

tl;dr: Mit gesammelten Briefmarken kann man behinderten Menschen helfen. Ganz einfach. Am einfachsten vom Büro aus.

Montag, 3. November 2014

Willkommen in Willich: So kann man helfen!

Die Asylbewerber in unserer Stadt haben sich etwas überlegt: Wenn am Ende dieser Woche die ersten Flüchtlinge im Übergangsheim im ehemaligen Katharinen-Hospital ankommen, werden sie da sein. Aus ihrer eigenen Erfahrung wissen sie, wie gut es tut, wenn man nach den Strapazen der Flucht mit jemandem in seiner Muttersprache reden kann. So sagen sie: Willkommen in Willich.

Als ich vor etwa einem Monat über die künftige Nutzung des Krankenhauses gebloggt habe, hätte ich nie gedacht, dass dieser Post irgendwann mehr als 1.400 Zugriffe zählen würde. Mein meist gelesener Beitrag bisher. Das möchte ich nutzen, um aufzuzeigen, wie man helfen kann.

Das Wichtigste dabei: Sich vorher informieren. Die Menschen die nach Willich kommen sind Flüchtlinge, sie kommen aus einem komplett anderen Kulturkreis und mit teilweise traumatischen Erfahrungen. Nicht alles, was gut gemeint ist, muss zwangsläufig hilfreich sein.

Mit dem Arbeitskreis Fremde, geleitet von Jutta van Amern, gibt es deshalb einen Verein, der über mehr als 20 Jahre Erfahrung bei der Arbeit mit Asylbewerbern verfügt. Heute Abend  - Montag, der 03. November 2014 - um 20:30 Uhr informiert der Arbeitskreis im Pfarrheim an der Hülsdonkstraße über alle Möglichkeiten zu helfen.

Vorher, um 19 Uhr, lädt die Bezirksregierung Arnsberg - in NRW die für Flüchtlinge zuständige Behörde - in die Aula der Robert-Schuman-Gesamtschule ein. Dort wird es dann hoffentlich alle wichtigen Infos, wie über die Anzahl und die Verweildauer der Flüchtlinge, geben. Es wird langsam Zeit dafür.

Bisher lässt sich nur absehen, dass es zwischen 150 und 200 Menschen sein werden, die wohl nur einige Tage für Gesundheitschecks in Willich bleiben.

Genau dort liegt auch das Problem für alle, die helfen wollen: Zeit, sich kennen zu lernen, bleibt kaum. Deshalb wird es im Wesentlichen um eines gehen: Darum, den Flüchtlingen ein Gefühl des Willkommenseins zu geben. Zu lächeln, wenn man sie trifft und zu helfen, wenn es Fragen gibt. Zum Beispiel beim Kauf von Prepaid-Telefonkarten, denn in der Heimat anrufen möchte fast jeder als Erstes.

Dazu kann man mit Spenden helfen. Viele Asylbewerber haben bei ihrer Flucht nur das Wichtigste mitgenommen. Wintersachen oder feste Schuhe gehören meistens nicht dazu. Der Arbeitskreis Fremde koordiniert diese Hilfe. Auch Geldspenden sind dort willkommen, die Kontoverbindung lautet DE05310605173105000021.

Alle, die mehr machen wollen, können sich im Arbeitskreis vernetzen. Bisher sind es 28 Mitglieder, die die Hilfe koordinieren, Sprachkurse geben, Fahrdienste organisieren, bei Behördengängen helfen oder mit den Flüchtlingen Sport treiben. Dabei macht jeder Helfer das, was ihm liegt. Den Umfang bestimmt man selbst. Kontakt gibt es beim Treffen im Pfarrheim oder unter www.akf-willich.de. Also: Nichts wie los.

tl;dr: Am Ende der Woche kommen die ersten Flüchtlinge nach Willich. So kann man helfen.

Freitag, 31. Oktober 2014

NRW: Ist der Ruf erst ruiniert…

Es gibt Skandale in diesem Land, die jeder kennt aber die keinen mehr aufregen. Der Berliner Flughafen ist so ein Beispiel. Natürlich ärgert es die Menschen nach wie vor, dass dort täglich Geld verbrannt wird - aber wirklich bewegen tun die Ereignisse an der Großbaustelle keinen mehr. Für die Leute ist das Thema durch. Der Drops gelutscht. Der Flughafen in den Sand gesetzt. Ehrlich: Käme morgen heraus, dass die Landebahn ungeeignet ist für Flugzeuge, es würde keinen mehr überraschen.

Ähnlich verhält es sich mit den Finanzen des bevölkerungsreichsten Bundeslandes. NRW ist super pleite. Jeder weiß das. Längst empört sich keiner mehr über die immer neuen Hiobsbotschaften. Dass die Regierung Kraft aufgrund der immensen Verschuldung verfassungswidrige Landeshaushalte in Serie verabschiedet, mag den Leuten dabei vielleicht zu theoretisch sein. Dass es in der NRW-Staatskanzlei für Gäste aber nur noch Leitungswasser gibt, weil das Land zu pleite ist, um den Besuchern Kaffee anzubieten, hätte eigentlich jedem die Augen öffnen müssen. Aber trotzdem: Statt eines Aufschreis der Empörung über solch haushälterisches Unvermögen gibt es nur Gähnen. Keinen scheint diese Peinlichkeit noch zu scheren.

Nur zur Einordnung: Wäre NRW ein eigener Staat, es stände in der Liste der größten Volkswirtschaften der Welt auf Platz 17. Noch vor den Niederlanden, der Schweiz und Schweden. Noch vor Ländern also, bei denen Gästen zum Kaffee sogar Milch und Zucker gereicht werden.

Und dabei ist dies ja nur eines von zahllosen finanziellen Peinlichkeiten in unserem Bundesland. Denken wir zum Beispiel daran, dass die Landesregierung unlängst die Landtags-Opposition aufgefordert hat konkrete Sparvorschläge vorzulegen, weil ihr selber keine einfallen. Da fragt man sich doch, wozu haben wir eigentlich eine Regierung? Oder an die jüngsten Enthüllungen über den Kunstbesitz der landeseigenen Betriebe. Dass ein Manager der WestLB ein 30-Millionen-Kunstwerk von Max Beckmann für knappe 14 Millionen verkauft hat, wirkt ja fast harmlos wenn man hört, dass die Westspiel ein 13 Meter hohes Kunstwerk von Heinz Mack auf den Müll geworfen hat und Handwerker dort in einen echten Warhol ein Loch für einen Türgriff schnitten. Die Landesregierung musste bei diesem Skandal eingestehen, dass sie keine Übersicht über die Kunstbestände ihrer eigenen Unternehmen hat.

Dazu kommt das überpeinliche Gebettel um Finanzmittel aus dem Solidaritätszuschlag. Man kann ja gerne darüber reden, ob die Gelder 25 Jahre nach dem Fall der Mauer anders verteilt werden sollten, aber die offensive Forderung aus NRW ist schon erschreckend. Fast könnte man den Eindruck bekommen, man wäre stolz darauf, dass die SPD es geschafft hat, das Bundesland auf den Stand der maroden DDR zu wirtschaften. So ließ sich der designierte neue Landesvorsitzende der Jungsozialisten, Frederick Cordes, jüngst in der Rheinischen Post zitieren: „Ich liebe das Ruhrgebiet und finde, der Soli sollte nicht nach Himmelsrichtung, sondern nach Bedürftigkeit verteilt werden“. Grundsätzlich nicht ganz falsch, aber von einer seltsamen Anspruchshaltung und einem deplatzierten Stolz untermalt. Frische Ideen: Fehlanzeige.

Ob das Ruhrgebiet diese ewige Schwarzmalerei überhaupt verdient, steht auf einem ganz anderen Blatt. Anders als in den Weltuntergangsszenarien, die Fördermittel in den Pott spülen sollen behauptet, stehen die Städte an der Ruhr gar nicht so schlecht dar. Mit Essen, Dortmund, Duisburg, Bochum, Gelsenkirchen und Mühlheim an der Ruhr sind gleich sechs dieser Städte unter den Top 50 der Kommunen mit den höchsten Steuermessbeträgen zu finden. Essen und Dortmund stecken bei der Wirtschaftskraft glatt das schuldenfreie Dresden in die Tasche.

Bei den Einnahmen sind die Städte des Ruhrgebiets also gar nicht schlecht wie behauptet. Nur sparen hat man hier nie gelernt. Ein Fakt der offenbar auch für die Landesmutter gilt: Sie scheint auf wundersame Weise von allen Sparzwängen befreit. Für ihre imagebildenden TatKraft-Tage gibt es im kommenden Jahr sogar mehr Geld.

Es ist ein Skandal als Fortsetzungsroman, aber es interessiert halt keinen.

tl;dr: Die Finanzlage von Nordrhein-Westfalen ist skandalös schlecht. Trotzdem stört es keinen.

Dienstag, 14. Oktober 2014

Ja, Meinung hat Konsequenzen!

Meinungsfreiheit, Artikel 5 des Grundgesetzes. Eines der Grundrechte, auf das sich in Deutschland am liebsten berufen wird. Gerade im Internet. Was dieses Recht beinhaltet, dazu darf jeder seine eigene Meinung haben. Gedeckt durch die Meinungsfreiheit. Richtig müssen diese Auslegungen deshalb noch lange nicht sein.

Dafür ist die aktuelle Diskussion um Äußerungen von Xavier Naidoo, der vor einigen Tagen auf einer Demonstration jede Menge wirres Zeug geredet hat, ein schönes Beispiel. Die Demonstranten waren selbsternannte Reichsbürger. Menschen also, die meinen, dass die Bundesrepublik ein unrechtmäßiger Staat sei, da wir noch im Deutschen Reich lebten. Die Mannheimer Popakademie, zu deren Initiatoren Naidoo zählt, hat sich deshalb öffentlich von ihm distanziert.

Bei Facebook mokieren sich darüber in den Kommentarspalten nun sowohl seine Fans, als auch die Fans der Reichsbürger. Der Vorwurf: Naidoo habe doch nur von seiner Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht. Es sei eine Einschränkung dieser Freiheit, wenn das nun Konsequenzen nach sich ziehe.


Krude Ansichten: Keine Meinungsfreiheit in Deutschland?
Neben dem skurrilen Umstand, dass sich hier teilweise Menschen aufs Grundgesetz der Bundesrepublik berufen, die finden, dass ebendieser Staat nicht existiert, zeugen drei weitere Punkte vom mangelnden Verständnis unserer Verfassung.

Zum ersten: Das Grundgesetz regelt das Verhältnis von Bürger und Staat. Nicht das zwischen den Bürgern. Ganz bestimmt nicht das zwischen Bürgern und Popakademie. Schlauberger haben längst bemerkt: Auch vor dem Verfassungsgericht kann man deshalb nur gegen den Staat, nicht aber gegen seinen Nachbarn klagen. Würde ein staatliches Gesetz die Meinungsfreiheit einschränken, könnten Bürger hier gegen die Bundesrepublik vorgehen. Könnten, denn praktisch ist das bei der Meinungsfreiheit etwas schwieriger.


Damit wären wir beim zweiten Punkt: Den Schranken. Grundsätzlich unterliegt ihnen jedes Grundrecht. Zum Beispiel den verfassungsimmanenten Schranken. Das bedeutet: Es findet seine Grenzen in den anderen Grundrechten. Beispiel: Zwar ist die Religionsfreiheit in Artikel 4 verankert, trotzdem wird sie aber in ihrer Ausübung durch die Menschenwürde (Artikel 1) beschränkt. Religiös motivierte Menschenopfer sind also nicht drin…


Einige Artikel, so auch die Meinungsfreiheit, sind zudem noch stärker - durch einen qualifizierten Gesetzesvorbehalt - eingeschränkt. Schließlich heißt es im Artikel 5 nicht nur: (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. Sondern auch: (2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Konkret heißt das: Zwar kann nicht jedes Gesetz dieses Grundrecht einschränken (um es kompliziert zu machen: nicht jedes Gesetz ist allgemein), aber sehr wohl ein einfaches Gesetz das nicht gegen die Werte des beeinträchtigten Grundrechts verstößt.


Der entscheidende Punkt ist jedoch der Dritte: Meinungsfreiheit heißt nicht, dass man mit seiner Meinung immer richtig liegt. Zwar ist auch die Meinung von Xavier Naidoo von unserer Ordnung geschützt, die der Popakademie über Naidoo jedoch auch. Auch wenn es weh tut: Wer seine Meinung äußert, muss auch ertragen, dass es andere Meinungen und ab und zu auch Konsequenzen gibt. Leider scheint dies nicht jedem gegeben zu sein…


tl;dr: Das Beispiel Xavier Naidoo zeigt: Die Meinungsfreiheit ist keine Freiheit von Konsequenzen.

Samstag, 27. September 2014

Willkommen in Willich!

Bald eine Erstunterkunft für Flüchtlinge? Das ehemalige Krankenhaus.
Im ehemaligen Willicher Krankenhaus sollen 200, nach den Erfahrungen in anderen Kommunen jedoch wahrscheinlich deutlich mehr, Flüchtlinge untergebracht werden. Bereits vor einigen Wochen wurde darüber erstmals in der Zeitung berichtet. Die darauf folgende Welle von bösartigen Kommentaren in den „sozialen“ Netzwerken war erschreckend.

Aber der Reihe nach: Auf der Suche nach neuen Unterkünften für Asylbewerber ist die Bezirksregierung Arnsberg, die aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung mit ihrer Außenstelle in Unna-Massen die Verteilung der Flüchtlinge für ganz NRW - also auch für unseren Regierungsbezirk Düsseldorf - übernimmt, in Willich fündig geworden. Neue Erstunterkünfte werden dringend benötigt, weil einige der bisherigen Einrichtungen aufgrund des Ausbruchs von Masern und Windpocken geschlossen werden mussten.


Gerne würde die Behörde das Gebäude nun von den Neusser Augustinus-Kliniken mieten, bei denen die schnelle Mark offenbar die Gemeinnützigkeit endgültig verdrängt hat. Zugelassen ist an dieser Stelle jedoch nur der Betrieb eines Krankenhauses. Eine Nutzungsänderung müsste der Willicher Stadtrat beschließen. Das hat er nicht getan. Trotzdem kann die Bezirksregierung mit den Augustinern ins Geschäft kommen. Mittels einer Beschlagnahme des Gebäudes durch den Innenminister nach Paragraf 14 des Ordnungsbehördengesetzes. Dieser Bescheid wird in den kommenden Tagen erwartet. Der Stadtverwaltung und der Kommunalpolitik sind dann die Hände gebunden.


Der bisherige Widerwille der Stadt gegen diese Form der Unterbringung hat mit zwei Dingen zu tun:


Zum einen liegt es an der Landesregierung. Die lässt die Städte und Gemeinden beim Aufbringen der Kosten bisher im Regen stehen. So bekommt die Stadt zurzeit nur etwa 21,5 Prozent der entstehenden Kosten für die jetzigen Asylbewerber erstattet. Hier ist das Land gefordert Farbe zu bekennen und die Kommunen mit dieser Aufgabe nicht alleine zu lassen.


Zudem verfolgt die Willicher Verwaltung bei der Unterbringung von Asylbewerbern ein dezentrales Konzept. Nicht alle Flüchtlinge an einem Ort zu konzentrieren hat bisher gut funktioniert - aus Sicht der Asylbewerber, der Anwohner und der Stadt. Eine zentrale Sammelstelle mitten im Ortskern, so befürchtet man, würde die mühsam aufgebaute Akzeptanz zerstören.


Dabei ist in Willich eigentlich etwas ganz anderes geplant: Es geht um keine klassische Unterbringung, sondern - wie bereits erwähnt - um eine Erstunterkunft. Das bedeutet, dass die Flüchtlinge in Willich registriert und von der Behörde zu den Gründen ihrer Flucht befragt werden. Nach drei Monaten in Willich geht es für die Asylsuchenden dann weiter: Sie werden nach einem bestimmten Schlüssel auf Städte und Gemeinden in ganz NRW verteilt. In der Regel ist die Erstunterkunft ein ziemlich abgeschirmtes, oft sogar  umzäuntes Gelände.


Zudem: Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, schätzt, dass bis zu 50% aller Asylsuchenden Kinder und Jugendliche sind, die entweder in Begleitung ihrer Eltern kommen oder alleine.


So zeigt sich, was die Stimmungsmache bei Facebook und Co. eigentlich ist: Plattes Gerede von Leuten die eigentlich keine Ahnung haben. Weder werden kriminelle Horden in unsere Innenstädte einfallen, noch der IS in Willich eine Niederlassung eröffnen. Diese Menschen kommen aus purer Not aus oftmals kriegsgeplagten Heimatländern (der größte Teil zurzeit aus Syrien), werden in Gruppenschlafsälen kaserniert und bewacht. Diese Leute kommen nicht um sich in die soziale Hängematte zu legen, sie haben ihre Heimat verlassen um ihr blankes Leben zu retten. Oft sind es Kinder und Jugendliche, die unseres besonderen Schutzes bedürfen.


Aber wirklich Sorgen mache ich mir eh keine: Egal was die Trolle im Internet von sich geben, ich habe unsere Stadt immer als freundlich, friedlich und weltoffen erlebt. Ich bin mir sicher, dass sie auch die Flüchtlinge so begrüßen wird. Ich glaube an Willich.


tl;dr: Trotz vielfacher Hetze in den Sozialen Netzwerken bin ich mir sicher: Die Flüchtlinge sind in Willich willkommen. 

Freitag, 12. September 2014

Willich: Erst falsch, jetzt noch falscher

Die Sperrung des Willicher Marktplatzes für den Autoverkehr wäre ein Fehler. Ein noch größerer Fehler wäre es jedoch, das Bürgervotum zu diesem Thema zu übergehen.

Dass bei der Abstimmung über den Willicher Markt die Befürworter eines autofreien Platzes siegen, hat so kaum jemand erwartet. Die eigentliche Überraschung war jedoch die hohe Beteiligung der Willicherinnen und Willicher an dieser Wahl:  9.368 haben sich beteiligt, 52,6 Prozent davon haben für eine Sperrung des Platzes gestimmt.


Trotz dieses klaren Ergebnisses hat der Stadtrat sich am Donnerstag nicht dazu durchringen können, dem Votum zu folgen. Die Entscheidung wurde vertagt. Die Zeit soll genutzt werden, um einen Kompromiss zwischen Befürwortern und Gegnern der Sperrung zu schmieden. Schließlich, so die Argumentation, würde es sich nur um eine knappe Mehrheit von 450 Stimmen handeln. Außerdem hätten sich mit 54,6 Prozent nur knapp mehr als die Hälfte der Alt-Willicher an der Wahl beteiligt. Zum Vergleich: An den Kommunalwahlen, die im Übrigen den Stadtrat legitimieren, haben stadtweit ebenfalls „nur“  55,22  Prozent der Wähler teilgenommen.


Um eines klar zu stellen: Ich bin ein absoluter Fan der repräsentativen Demokratie. In dieser sind die gewählten Vertreter damit beauftragt, Sachfragen nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden. In der konkreten Frage nach der Zukunft des Marktplatzes hat sich der Rat jedoch lange um eine Entscheidung gedrückt. Am Ende hat man beschlossen, stattdessen die Bürger an die Urnen zu rufen. Das war feige. Schließlich offenbart sich nun, dass es unter den Ratsmitgliedern sehr wohl eine klare Meinung und eine stabile Mehrheit gegen eine Sperrung gibt. Statt sich dazu zu bekennen, setzte man jedoch darauf, dass mangelnde Mobilisierung oder eine bislang schweigende Mehrheit den Sperrungsplänen den Garaus machen würden. Dass die Abstimmung auch anders ausgehen könnte, wurde ignoriert. Das war dumm.


Nun hat Willich den Salat. Die Lösung, die der Stadtrat für besser hält, widerspricht einem sehr klaren Votum der Bürger. Für mich gibt es nur eine Lösung: Alle Ratsfraktionen - die sich ja auch samt und sonders für das Bürgervotum ausgesprochen hatten - respektieren nun die Entscheidung. Auf dieser Grundlage müssen jetzt kluge Entscheidungen für die Zukunft des Ortskerns getroffen werden. Nun eben autofrei. Anders als viele Befürworter der Fußgängerzone glauben wollen, wird sich durch die Sperrung alleine nämlich nichts zum Besseren wenden. Der große Platz muss nachhaltig mit Leben gefüllt werden, trotz Kirchenwand. Es braucht eine Initiative für größere Gewerbeflächen und bessere Mietpreise. Und die neugeschaffenen Sackgassen an der Bahn- und der Peterstraße müssen in die Aufwertung des Ortskerns einbezogen werden.


Mein Wunsch dabei: Bei diesen kommenden Entscheidungen verzichten die Ratsmitglieder auf Bürgervoten und verlassen sich nach alter und schöner Tradition wieder auf ihr eigenes Herz und Hirn. Die einzigen Bürgerbefragungen, die es künftig gibt, wiederholen sich alle fünf Jahre: Die Kommunalwahlen. Außer der Stadtrat kann tatsächlich einmal mit allen Optionen leben…


tl;dr: Der Umgang der Willicher Politik mit dem Bürgervotum zum Marktplatz ist eine Katastrophe.

Freitag, 5. September 2014

Willich: Autofrei in die Sackgasse

Keine Frage: Der Willicher Ortskern muss attraktiver werden. Über den richtigen Weg zu diesem Ziel wird derzeit gestritten. Durch eine Bürgerbefragung, die noch bis zum 08. September läuft und deren Ergebnis am 11. September im Stadtrat vorgestellt werden soll, dürfen die Willicherinnen und Willicher mitbestimmen. Konkrete Frage: Soll der Willicher Markt zur Fußgängerzone werden oder nicht. Um die nötigen Stimmen wird dabei mit allen Mitteln gekämpft. Plakate mit Bildern von überfahrenen Kindern oder vom geschlossenen Katharinen-Hospital sollen dabei Emotionen wecken. Aber eine solche Polarisierung ist irreführend. Bei der Abstimmung geht es nicht um mehr Verkehrssicherheit oder die Beseitigung aller Leerstände, sondern um eine Zukunft für unseren lokalen Einzelhandel. Es geht darum den Markt als Ortskern zu erhalten.

Deshalb halte ich die Idee in Willich eine Fußgängerzone einzurichten für falsch. In Willich gibt es nicht zu viele Autos, sondern zu wenig attraktive Läden. Egal wie hübsch und belebt die Grafiken in der Informationsbroschüre der Stadt aussehen: Auch nach Einrichtung einer Fußgängerzone wird die BHW keine Außengastronomie einführen. Könnte man auf diese Weise für mehr Leben im Ortskern sorgen, müsste Anraths Zentrum ein blühendes Beispiel für diese Behauptung sein. Ist es aber nicht.


Für die größten Probleme bei der Ansiedlung attraktiver Läden sorgen in allen unseren Stadtteilen zwei Faktoren: Zu kleine Ladenflächen und zu hohe Mieten. An anderer Stelle hatte ich bereits ausführlicher zu diesem Thema gebloggt. Ein gutes Beispiel für diese Tatsache kann man übrigens direkt am Markt besichtigen: Das Cafe Kleeberg. Erst als die Wirtschaftsförderung der Stadt das Gebäude gekauft, die Räumlichkeiten in Ordnung und den Laden zu einem vernünftigen Preis auf den Markt gebracht hat, wurde der langjährige Leerstand beseitigt. Das sich einige Willicher Wirte durch diese Aktion der Stadt bedroht sahen, zeigt allerdings auch deutlich eines der bisherigen Probleme auf.


Und nein: Ich möchte dabei nicht leugnen, dass der Markt dringend saniert werden muss. Aber ich bin mir sicher, dass man auch mit Autoverkehr einen attraktiven Platz schaffen kann. Um Verkehr zu leiten braucht man nicht unbedingt Poller, um einem Platz Aufenthaltsqualität zu verleihen nicht zwangsläufig Spielgeräte. Die Möglichkeit mit dem Auto zu halten, bleibt jedoch für viele Läden wichtig. Schließlich gibt es nicht nur Cafes am Markt.Was ich mich zudem frage: Was wird aus den Läden an der Peter- und der Bahnstraße? Sie können nicht oder nur indirekt von einer Umgestaltung des Marktplatzes profitieren. Bei einer Sperrung des Marktes plötzlich in einer engen Sackgasse zu liegen, wird ihnen aber schaden. Auch diese Straßen gehören zu unserem Ortskern.


In Willich kommt außerdem noch eine besondere Situation hinzu: Auch wenn alle Ladenlokale am Markt belegt wären und sogar alle Tische nach draußen stellen würden, bleibt eine Seite des Platzes eine kahle Kirchenwand. Das war zwar nicht immer so, aber von der alten Umbauung der Kirche ist nur das Hinzen-Häuschen geblieben. Hier würde ich mir wünschen, dass einmal über eine moderate Bebauung nachgedacht wird. Wenn neben Hinzen noch ein Cafe oder Restaurant auf den Platz ragen würde - oder ein Ladenfläche geschaffen würde, die auch für ein Geschäft wie H&M oder Strauss attraktiv wäre - wäre mehr gewonnen als durch jeden Umbau des Platzes. Für Schützenfest und die Tribüne bliebe trotzdem genug Raum.



Jede Menge Platz: An der Ostseite der Kirche steht nur ein Häuschen.
Statt beim Markt nur an der Oberfläche zu kratzen und sich um die Kosmetik zu kümmern, müsste nun endlich an den Gründen für die innerstädtische Misere gearbeitet werden. Dazu würde ich mir wünschen: Mehr Aktivität der Wirtschaftsförderung in der Innenstadt. Eine aktivere Zusammenarbeit der Immobilieninhaber untereinander, um endlich für größere Ladenlokale und fairere Mieten zu sorgen. Eine positivere Einstellung der Einzelhändler gegenüber Veränderungen und vor allem eine bessere Einstellung der Bürger gegenüber dem lokalen Einzelhandel. Jeder von uns meckert gerne über Leerstände, aber kaum jemand kauft seine Sachen noch beim Fachhändler vor Ort. Amazon, eBay und Zalando sind halt so gemütlich. Anfangen kann also jeder bei sich selbst: Internet aus und ab in die City. Aber darüber kann man nicht abstimmen - man muss es tun. 

tl;dr: Eine Fußgängerzone wird die Probleme der Willicher Innenstadt nicht lösen, sondern verschärfen.

Sonntag, 31. August 2014

„Indessen sterben viele Insassen von Irrenhäusern eines schnellen Todes"

Josef Herlitz im Jahr 1953 (Foto: Stadtarchiv Willich).
Am 1.September 2014 jährt sich zum 75. Mal der Beginn des Zweiten Weltkrieges. Verbunden mit diesem Datum ist jedoch auch ein weiteres Verbrechen. Ein auf den 1. September 1939 zurückdatierter "Führerbefehl" startete die systematische Ermordung von Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen. Da die mit der Organisation dieses Verbrechens betraute Dienststelle in der Berliner Tiergartenstraße 4 saß, sprechen wir heute - neben dem bekannteren Begriff Euthanasie - von der Aktion T4.

Dieser Text ist Teil eines Aufsatzes über das Tagebuch des späteren Neersener Bürgermeisters Josef Herlitz, der im kommenden Heimatbuch des Kreises Viersen veröffentlicht wird.


Unter dem Namen „Aktion T4“ startete im Herbst 1939 eine Mordserie, in deren Verlauf zwischen 80.000 und 100.000 Kranke und Behinderte vom NS-Staat umgebracht wurden. Die Aktion wurde durch eine geheime Führeranweisung, die um den Liquidationsbefehl mit der Fiktion einer kriegsbedingten Notwendigkeit zu umkleiden auf den 1. September 1939 rückdatiert wurde, bewusst erst zu Kriegszeiten in Gang gesetzt. Widerstände, die man besonders von kirchlicher Seite erwartete, sollten - so hoffte man - im Kriegsgeschehen auf eine geringere Resonanz stoßen. Dieser Plan ging nicht auf. Im Gegenteil, die ganze Aktion zog eine solch gewaltige Reaktion nach sich, dass sie von den Nationalsozialisten vorerst wieder aufgegeben werden musste. Die vollständige Aufdeckung des Verbrechens wollten die Täter nicht riskieren.


Den Stein ins Rollen gebracht hatte im Juli 1940 ein leitender Psychiater der Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel, indem er einen Münsteraner Geistlichen ins Vertrauen gezogen und Enthüllungen über die Euthanasie verschriftlicht hatte. Die Vorgänge wurden über die Weitergabe des Schreibens an den Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, den katholischen deutschen Bischöfen bekannt gemacht.

Die erste Reaktion der Kirche erfolgte über nicht öffentliche Protestnoten. So schrieb Kardinal Faulhaber an den bayrischen Ministerrat: „Bei Fragen, ob die öffentliche Sittlichkeit im Sterilisierungsgesetz für ein katholisches Gewissen gewahrt bleibt, ob sonstwie das katholische Gewissen belastet wird, haben die Bischöfe die Pflicht, für das christliche Sittengesetz einzutreten. Wir haben keine Kritik an den politischen Maßnahmen der Regierung geübt, wir werden uns aber für alle Zukunft das Recht wahren, in Fragen der Religion und Sittlichkeit freimütig, durch unser Amt verpflichtet, für die Wahrheit Zeugnis zu geben…“

Wirklich ernst nahmen die Nationalsozialisten diese Form des Protestes allerdings nicht. Es erfolgte keine Reaktion. Die Gerüchte über die Mordaktion ließen sich jedoch nicht stoppen, so schrieb der spätere Neersener Bürgermeister Josef Herlitz am 14. Dezember 1940 in sein Tagebuch: „Indessen sterben viele Insassen von Irrenhäusern eines schnellen Todes – Schlaganfall. Auf Wunsch stellt man die Urne mit Asche zur Verfügung. In Weeze wurde eine Frau im Wochenbett irrsinnig. Die Angehörigen lieferten sie nach Vorschrift ins Irrenhaus ein. Sie starb später. Die Urne kam als Rest zurück. Die braunen Schwestern bekommen als Entgelt für ihre Tätigkeit ein doppeltes Gehalt zu Weihnachten.“ Auch wenn die Worte Mord oder wenigstens Töten fehlen, die Notiz spricht eine deutliche Sprache. Ebenso zwei weitere Einträge vom Februar 1941: „In unruhigen Zeiten reitet Frau Fama durch das Land: … Angeblich werden die Blöden augenblicklich durch Spritzen in das bessere Jenseits befördert, ihre Leichen verbrannt und den Angehörigen auf Verlangen zugesandt.“ Und: „Auch das Gerücht über die erfolgte Euthanasie seitens amtlicher Stellen erhält sich hartnäckig.“ Zwar formuliert Josef Herlitz auch hier wieder vorsichtig, aber: Alleine das notierte Gerücht lässt die Tat schon offenbar werden. Und genau diese Öffentlichkeit fürchteten die Nationalsozialisten bei ihrem Vorgehen.


Aus diesem Grunde wurde die Aktion T4 zu einer echten Belastung als Bischof von Galen die in der Bevölkerung schwelende Empörung über das Staatsverbrechen zur Entzündung brachte. In seinen drei berühmten Predigten machte der Bischof von Münster nicht nur die Vernichtung „unwerten Lebens“ öffentlich, sondern klagte am 03. August 1941 an, dass im Deutschen Reich von Staats wegen gemordet werde. Die offenen Worte des Bischofs fanden in Deutschland, aber auch darüber hinaus, ein breites Echo und wurden massenweise abgeschrieben und herumgereicht. Josef Herlitz schreibt dazu: „Als mutiger Verteidiger der Kirche erwies sich der Bischof von Münster, von Galen, der in deutlichen, besorgten Worten auf die Tätigkeit der Kreise hinwies, die schon im Hirtenwort der Bischöfe gekennzeichnet waren. Seine Worte gingen von Mund zu Mund bei Katholiken, Protestanten, Ungläubigen, Reichen und Armen. Und als er erst in Kevelaer firmte, kannte der Zustrom zu dieser hl. Stätte am Niederrhein keine Grenze.“


Im August 1941 lies Hitler die Euthanasie-Aktionen offiziell einstellen. In den Konzentrationslagern wurden die Morde an Kranken jedoch, wenn auch in geringerem Maße, weitergeführt. Es starben nochmals etwa 30.000 Menschen. Neben der Angst, dass die Stimmung in der Bevölkerung umschlagen könnte, dürfte dabei auch der Krieg gegen die Sowjetunion und die damit anlaufende Judenvernichtung eine Rolle gespielt haben. Hitler konnte sich zunächst seinem Hauptaugenmerk widmen. Im Gegensatz zur Aktion T4 wurde um diese ungleich größere Mordaktion von Anfang an ein dichter Schleier gezogen und Geheimhaltung zum obersten Gebot erklärt. Die Vorgänge rund um die Ermordung „unwerten Lebens“ sollten sich nicht wiederholen.


Josef Herlitz bringt das Ende der Morde in seinem Tagebuch mit dem Krieg in Verbindung: „Andere sagen, die Flieger hätten sich gegen die behauptete Form der Euthanasie gewandt, da sie ja auch in Gefahr seien, geistig zerstört zu werden.“ Auch hier ist die Quelle wieder ein Gerücht.


Die Reaktionen der nationalsozialistischen Führung lassen hingegen auf Bischof von Galens Predigten als den entscheidenden Grund schließen: Während Himmler von Galens Verhaftung forderte, schlug Martin Bormann vor, die „…einzige Maßnahme [zu] ergreifen die sowohl propagandistisch wie strafrechtlich angemessen ist, nämlich den Bischof von Münster zu erhängen“. Dass keine Reaktion erfolgte, lässt die Angst erahnen, der Josef Goebbels das Wort geredet hat: Bei einer Bestrafung von Galens müsse man damit rechnen, dass man ganz Westfalen für die Dauer des Krieges abschreiben müsse. Erst nach dem Krieg sollte dann „…auf Heller und Pfennig abgerechnet“ werden.


Der öffentliche Prostest eines Bischofs rettete so unzählige Leben. Man muss sich fragen, was katholische und protestantische Kirchenführer mit mehr Zivilcourage und weniger Bedenkenpflege selbst in einer totalitären Diktatur hätten verhindern können.


tl;dr: Vor 75 Jahren begann in Deutschland die sogenannte "Vernichtung lebensunwerten Lebens" durch die Nationalsozialisten.

Dienstag, 22. Juli 2014

Willich: Die Wahlplakate der SPD

Bei dieser Kommunalwahl gab es eine Premiere. Zumindest ich kann mich nicht daran erinnern, dass schon einmal gewerbliche Plakatwände für die Wahlwerbung genutzt wurden. Aber einige Tage vor dieser Wahl war die SPD plötzlich überall in Willich im 18/1-Bogenformat präsent. Zwar ist die Form des Großflächenplakats auch in der Wahlwerbung durchaus gängig, jedoch werden dabei üblicherweise mobile Plakatflächen am Ortsrand eingesetzt. Diese sogenannten Wesselmänner - die Wahlkampf Werbung Wesselmann Wattenscheid GmbH hat hier fast ein Monopol - sind nur unwesentlich größer als die 3,56 mal 2,52 Meter großen Werbeflächen an den Hauswänden in der Innenstadt, kosten jedoch bedeutend mehr. Etwa 500 Euro fallen alleine für die Aufstellung eines Wesselmanns an, während man die Flächen der Firmen Stroer, AWK, Schwarz oder Plakatunion für vergleichsweise niedrige Tagessätze - in Willich je nach Lage zwischen 3,90 Euro und 25,40 Euro - wochenweise mieten kann.

Der SPD ist damit bei dieser Wahl auf jeden Fall eine Überraschung gelungen. Bei den kommenden Wahlkämpfen dürfte sie nicht mehr die einzige Partei sein, die diese Möglichkeit nutzt.


Auch sonst hat die Willicher SPD bei den Wahlplakaten im Vergleich zur Kommunalwahl 2009 am deutlichsten zugelegt. Eine Entwicklung, die sich mit dem Wahlergebnis deckt. Aber: Es gibt noch deutlich Luft nach oben. Den deutlich besseren Auftritt verdankten die Sozialdemokraten in diesem Jahr dem Grunddesign, dass offensichtlich von der Kreispartei geliefert wurde. Neben einigen professionellen, wenn auch sehr allgemein gehaltenen, Themenplakaten zur Kreistagswahl, nutzte die SPD dieses Design auch auf den Plakaten der Kandidaten. Statt einem Gruppenplakat, wie bei der letzten Kommunalwahl, gab es diesmal 24 Motive mit 24 Kandidaten. Dies war zwar teurer, aber es hat sich gelohnt: Das Fehlen eines Spitzenkandidaten wurde so erfolgreich verschleiert und die einzelnen Kandidaten aufgewertet.

Wo die SPD aber von diesem Grunddesign abwich, wurde es grausam. Sowohl das „Eierplakat“, samt Rechtschreibfehler, als auch die bereits erwähnten Großflächenplakate sehen aus, als wären sie in den 90ern mit Word gestaltet worden. Eigentlich fehlt nur noch ein Clip Art-Element.

Ob solche klassischen „Angriffsplakate“ der SPD in einer CDU-dominierten Stadt letztlich genutzt haben, steht auf einem anderen Blatt. Zumindest die Aufregung um die „Ostereier“ spricht vielmehr dafür, dass es auch eine Gegenmobilisierung gab.

tl;dr: Die Willicher SPD hat bei der Gestaltung ihrer Kommunalwahlplakate am deutlichsten zugelegt. 

Donnerstag, 26. Juni 2014

Willich: Die Wahlplakate der Grünen

Es tobt ein Glaubenskampf in Deutschlands Parteien. Er ist so alt wie die Einführung des sogenannten Hohlkammerplakats. Dieses Gebilde aus dem Kunststoff Polypropylen hat die Parteivorstände unerbittlich in Befürworter und Gegner gespalten. Die Argumente sind längst ausgetauscht, die Fronten verhärtet. Die Liebe zum Hohlkammerplakat speist sich aus den Problemen, die die klassischen Papierplakate machen. Ihre Holzrahmen sind unhandlich zu lagern, zu transportieren und aufzubauen. Sie müssen mühsam gereinigt und zeitaufwendig plakatiert werden.

Plakat 2014.
Plakat 2014.
Aber: Auch die Hohlkammerplakate haben ihre Nachteile. Zwar sind sie leicht aufzuhängen, aber spätestens nach zwei Wochen am Laternenmast sind die Plakate geknickt, bis auf den Boden heruntergerutscht oder vom Wind so gedreht, dass sie von der Straße nicht mehr gesehen werden können. Werden sie beschmiert, sind sie hin. Anders der Klassiker: Das Papierplakat steht in der Regel bombenfest - immer in idealer Sichthöhe für den Autofahrer. Wird es beschmiert oder abgerissen kann es fix überklebt werden.
Für die Plakatierungskommandos der Parteien ist das Hohlkammerplakat die einfachere Wahl, die bessere Wirkung - finde zumindest ich - erzielt sein älterer Bruder aus Papier. Deshalb bin ich ein Anhänger des Papierplakats: Der Köder muss schließlich dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.

Plakat 2014.
Plakat 2014.
Die Willicher Grünen scheinen dies ähnlich zu sehen. Als einzige Partei haben sie im Kommunalwahlkampf komplett auf Papier gesetzt. Nicht umsonst haben sie damit einen sehr gepflegten Eindruck erzielt.
Bei der Gestaltung haben sich die Grünen an der zeitgleich laufenden Europawahlkampagne ihrer Bundespartei orientiert. Bilder und Texte haben jedoch lokalen Bezug. Bei der Kommunalwahl 2009 haben die Willicher Grünen, die auch damals ohne eigenen Spitzenkandidaten in die Wahl gingen, auf ihren Plakaten als einzige Partei keine Personen gezeigt sondern komplett auf Inhalte gesetzt. Bei dieser Kommunalwahl verfügten sie deshalb schon über einiges an Erfahrung, während die Themenplakate der Sozialdemokraten in diesem Jahr eine Premiere darstellten.

Auch in diesem Jahr haben die Grünen dabei eine solide Arbeit abgeliefert. Die Themenplakate sind so angelegt, das sie keine Gegenmobilisierung auslösen. Dass das nicht ganz einfach ist, hat in diesem Jahr die SPD gezeigt. Man hat den Eindruck: Bei den Grünen hat man durchaus einige Gedanken an die Plakate verschwendet. Ein Kompliment das man auch in diesem Jahr nicht allen Parteien machen konnte.

Plakat 2009.
Plakat 2009.
Plakat 2009.
Trotzdem: Ich persönlich fand die Plakate vor fünf Jahren besser. Die Texte waren griffiger und direkter, die Bilder besser. Letzteres hat aber sicher auch mit dem Fotografen zu tun: Mein ehemaliger Kommilitone Stefan Finger - der an der Kampagne der Grünen im Jahr 2009 mitgewirkt hat - wurde mit seinen Fotos schließlich nicht von ungefähr im Jahr 2013 für den CNN-Journalistenpreis nominiert. Bei den Slogans hat man in diesem Jahr jedoch nachgelassen. Zwar sind sie kürzer, aber „Heute für morgen planen.“ oder „Energie aus Willich.“ kommen ziemlich harmlos daher. Ein simples Ausrufungszeichen hätte hier schon viel verbessert. Zudem ging mir nicht auf, was der Wasserturm im Stahlwerk Becker, der einem privaten Investor gehört, mit einem öffentlichen Leuchtturmprojekt zu tun hat. Am besten gefallen hat mir von daher das Motiv „Angebote statt Zäune.“ Hier sind die Grünen - ohne die inhaltliche Aussage zu bewerten - wieder ganz konkret.

Etwas möchte ich zudem auch noch loben: Auf eine Peinlichkeit, wie das Hundeplakat von 2009 haben die Grünen in diesem Jahr verzichtet. Fast schon schade, dass es 2009 noch keine #WahlplakatefromHell gab... 


tl;dr: Ein Glaubensstreit unter Wahlkämpfern: Papierplakat oder Hohlkammer? 

Samstag, 14. Juni 2014

Was macht eigentlich Alexander Oerschkes?

Erinnern Sie sich noch an Alexander Oerschkes? Die Willicher SPD würde ihn lieber vergessen. Besonders gut zu sprechen ist sie nicht mehr auf ihn. Als ihr Bürgermeisterkandidat hat er im Jahr 2009 ein historisch schlechtes Wahlergebnis eingefahren. Das schlechteste Wahlergebnis eines SPD-Bürgermeisterkandidaten in ganz NRW. Auch Alexander Oerschkes ist nicht mehr sehr gut auf seine Willicher Genossen zu sprechen. Eine Geschichte mit zwei Seiten.

Einige in der SPD erzählen heute, dass sie Alexander Oerschkes ursprünglich gar nicht als Bürgermeisterkandidaten wollten. Der habe sich aber aufgedrängt. Aus Mangel an Alternativen habe man sich dann für den Anrather ausgesprochen, der bei der Wahl schließlich die ganze SPD mit nach unten gezogen habe. Alexander Oerschkes hat gelernt, dass man alleine verliert.

Seine Geschichte ist eine andere. Auf einer Klausurtagung der SPD-Fraktion fand sich keiner, der bereit war gegen Josef Heyes zu kandidieren. Zu schmerzhaft war die Erinnerung an die klare Niederlage von Bernd-Dieter Röhrscheid fünf Jahre zuvor. Abends an der Theke ließ er sich dann überreden. Die Ratsmitglieder meinten, dass man nun einen Handwerker brauche. Einer der auch nah bei den Menschen ist. Wie der Bürgermeister.

Alexander Oerschkes hat sich nicht nur gefügt, er ist mit Begeisterung in den Wahlkampf eingestiegen. Obwohl er zur selben Zeit auch seine Bäckereikette, unter anderem um eine Filiale in Schiefbahn, erweitert hat. Er bringt Zeit und auch Geld mit. Die SPD, die ihn auf ihrer Mitgliederversammlung mit großer Mehrheit nominiert hat, lässt sich für den Wahlkampf kostenlos mit Brötchen versorgen.

Trotz allem fällt es dem Kandidaten schwer, sich als Alternative zum Bürgermeister darzustellen. Besonders in der Presse agiert er oft unglücklich. Mit einem Sieg rechnet am 30. August 2009 keiner mehr. Mit einer solch verheerenden Niederlage rechnet jedoch auch niemand. 16,49 Prozent. Die SPD schließt nur minimal besser ab: 18,7 Prozent. Nur noch neun Ratsmitglieder. Eines davon ist Alexander Oerschkes.

Für ihn wird die Niederlage doppelt bitter. Eine führende Rolle in der neuen Fraktion kann er nicht erringen, seine politische Karriere ist vorbei. Ein halbes Jahr später auch seine Selbstständigkeit. Seine Bäckereien melden Insolvenz an. Die Erweiterung seines Filialnetzes neben der Bürgermeisterkandidatur scheint die Kräfte überspannt zu haben. Der ehemals selbstständige Bäckermeister muss sich eine Arbeitsstelle suchen.


Zuletzt arbeitete er in einer Bäckerei in Düsseldorf. Sein Ratsmandat hat er längst zurückgegeben. In der SPD ist Alexander Oerschkes ebenfalls nicht mehr. Er wäre gerne geblieben. Aber nach der Insolvenz konnte er seinen Mitgliedbeitrag nicht mehr zahlen. Seine Genossen werfen ihn raus. Für fünf Euro im Monat. Es ist eine traurige Geschichte.

tl;dr: Der Umgang der Willicher SPD mit ihrem ehemaligen Bürgermeisterkandidaten Alexander Oerschkes ist ein Unding.

Sonntag, 8. Juni 2014

Tanzania 2003: Nackt unter Nilpferden

Mit Bischof Telesphor Mkude in Morogoro.
Im Sommer 2003 war ich mit meinem Vater in Tansania, Ostafrika. Gemeinsam haben wir dort Lastwagen mit Hilfsgütern durchs Land gefahren. Dabei haben wir viel gesehen und erlebt.
In den vergangenen Wochen habe ich in sieben Teilen darüber gebloggt. Hier gibt es nochmal alle Teile in der richtigen Reihenfolge:

Erste Eindrücke

Mein zweiter Geburtstag

Drei Mann in einem Lastwagen

Vier Reifen, elf Tonnen

Fünf Tage auf der Straße

Sechs Stunden bis Dubai

Sieben kurze Geschichten

Und ja, es war mühselig die entsprechende Zahl in jede Überschrift zu bekommen. Ein Bonus gab es zudem: Das wunderbare Video über den Bau einer Mahl- und Mischanlage in Arusha.

tl;dr: Alle sieben Artikel über meine Zeit in Tansania gibt es hier in der Übersicht. Dazu ein Bonus.

Samstag, 7. Juni 2014

Willich: Die Wahlplakate der FDP

Über den Sinn und Zweck von Wahlplakaten wird schon lange gestritten. In keiner Kampagne fehlen sie, aber wenn man die Wähler fragt, ist sich die große Mehrheit einig: Ihre eigene Entscheidung beeinflussen die Poster nicht. Ob sie mit dieser Einschätzung richtig liegen oder ob doch die Werbeexperten recht haben, soll hier allerdings nicht das Thema sein.

FDP-Wahlplakat 2009.
Fakt ist: Plakate sind im Wahlkampf die sichtbarste Visitenkarte der Parteien. Auch wer sich gar nicht für Politik interessiert, wer keinen Wahlkampfflyer bekommen hat, wer weder Internet noch Fernseher besitzt, sieht sie sobald er die Wohnung verlässt. Plakate erinnern uns daran, dass eine Wahl ansteht und sie vermitteln uns einen ersten Eindruck von Themen und Personen.

„Zieh Dir was Vernünftiges an!“ ist der Satz, mit dem unsere Mütter uns beigebracht haben, wie wichtig der erste Eindruck ist. Das gilt auch bei Plakaten. Ist ein Poster schlecht gemacht, ist es zu glatt, zu langweilig, zu plump oder einfach zu peinlich,  hinterlässt auch das einen ersten Eindruck. Wie entscheidend dieser Eindruck für die eigene Wahlentscheidung ist, dass mag auch weiterhin jeder selbst beurteilen.

Mich interessiert beim Betrachten der Plakate auch die Entwicklung im Vergleich zur letzten Kommunalwahl. Anfangen will ich in umgekehrter Reihenfolge mit der Partei, die am 25. Mai am wenigsten Stimmen erhalten hat: Der FDP. In den kommenden Tagen und Wochen folgen die anderen Parteien.

FDP-Wahlplakat 2014.
Schon vor fünf Jahren hatte die Willicher FDP die schlimmsten Plakate. Daran haben die Liberalen in diesem Jahr nahtlos angeknüpft. Niemand scheint einen Gedanken daran verschwendet zu haben, dass Plakate auf der Straße anders wirken als auf dem Computerbildschirm. Wer ein ganzes Team auf kleinen DinA1-Plakaten präsentieren will, sollte zumindest keinen Platz verschenken. Der nichtssagende und albern-künstliche Pinnwandhintergrund aus dem Jahr 2009 tut aber genau das. Die Kandidaten sind plötzlich nur noch halb so groß.

Auch in diesem Jahr  wurde das nicht besser. Beim Schießen der Gruppenfotos im Querformat hat offenbar keiner daran gedacht, dass die Plakate im Hochformat gestaltet werden. So erscheint das Team der FDP zwergenhaft im unteren Drittel des Bildes. Rutscht das Plakat am Straßenrand den Laternenmast herunter, wird genau dieser Teil vom Gras verdeckt.

Neben den Personen wollten die Liberalen in diesem Jahr außerdem noch Inhalte unterbringen. Unfähig sich auf eine zentrale Botschaft zu beschränken, haben sie sich für den Abdruck des halben Wahlprogramms entschieden. So klein, dass die Botschaft selbst im Vorbeigehen kaum lesbar ist.

FDP-Kandidatenplakat 2014.
Den größten und zentralen Teil des Plakates nimmt hingegen eine Wand ein: Die der jeweiligen Pfarrkirche. Damit kommen wir zum größten Rätsel: Wenn man sich sein Plakat ganz offensichtlich zusammenretuschiert, weshalb nimmt man dann kein schönes Hintergrundbild? Zum Beispiel eins auf dem die Sonne scheint, der Himmel blau ist und die Bäume grün sind?

Vor derselben Frage steht man, wenn man das Plakat von Hans-Joachim Donath, dem FDP-Bürgermeisterkandidaten, betrachtet. Wäre blauer Himmel wirklich zu viel verlangt gewesen? Bei diesem seltsam zusammenkopierten Motiv wundert man sich, dass die Schrift nicht größer gezogen wurde um mehr vom viel zu dunklen Bild zu verdecken. Zumindest den Namen des Kandidaten hätte man größer drucken können, statt ihn ohne jede Hervorhebung in der linken unteren Ecke verschwinden zu lassen. So hinterlässt die Schrift auch hier den Eindruck, dass man für die Gestaltung der Plakate MS Word statt eines Grafikprogramms verwendet hat.

tl;dr: Die Kommunalwahlplakate der Willicher FDP waren auch in diesem Jahr wieder die schlechtesten. 

Dienstag, 3. Juni 2014

Tansania 2003: Sieben kurze Geschichten

Verunglückter Lastwagen in Tansania.
Nicht alle Erlebnisse unserer dreiwöchigen Reise durch Tansania haben ihren Weg in diesen Blog gefunden. Sieben der Geschichten möchte ich trotzdem noch erzählen:

Ab und zu werde ich gefragt, was ich in Tansania am meisten vermisst habe. Die Antwort fällt mir leicht: Kalte Milch. Damals mein liebster Start in den Tag. Aber in Tansania kaum zu bekommen. Der Grund: Aus hygienischen Gründen muss die Milch vor dem Verzehr abgekocht werden. Also ist sie eigentlich immer warm. Nur wenige Getränke kann man unbesorgt kalt trinken. Darunter Kokosmilch und Softgetränke. Trotz aller Armut: An Coca Cola und Pepsi mangelt es nirgends. In Tansania hat Coke sogar eine eigene lokale Marke: Tangawizi. Eine fantastisch leckere Ingwerlimonade.

In weiten Teilen von Tansania gibt es kein Entsorgungssystem. Wenn Müll anfällt wird er auf die Straße geworfen. Liegt genug herum, kehrt man ihn zusammen und zündet ihn an. Oft sieht man dann Menschengruppen im schweren schwarzen Rauch um diese Feuer stehen. Wir hingegen haben unseren Müll - wie gute Europäer das nun mal machen - in einer Tüte im Lastwagen gesammelt. Womit wir nicht rechnen: Als die Tüte voll ist, schnappt sich unser Begleiter Dismas den Beutel und wirft ihn im hohen Bogen aus dem Fenster. „Liegt ja eh alles voll“ erklärt er uns, als er unsere erschrockenen Gesichter sieht.

Bei anderen Gelegenheiten war Dismas für uns Gold wert. So an der ersten Weighbridge, die wir mit unserem Lastwagen erreichten. Nachdem wir auf der Waage standen, klettert jemand an unserem Führerhaus hoch. Er hat unsere offizielle Wiegequittung und erklärt uns, dass wir für ein angebliches Übergewicht des LKW zahlen müssten. Er sei Angestellter der Wiegestelle. Nur: Der Mann ist ein Betrüger. Er hat sich an der Kontrollstelle als Fahrer ausgegeben um die absolut korrekte Bescheinigung zu erhalten. Nun will er bei uns kassieren. Gut, dass wir jemanden dabei haben der Kisuaheli spricht.

Es bleibt nicht das einzige Mal, dass Dismas unser Geld rettet. Aufgrund des großen Zeitverlustes durch den Zoll, entscheiden wir uns in der Serengeti nicht die vorgesehene Transitstrecke, sondern eine Seitenstraße zu einer alternativen Ausfahrt zu nehmen. Wir wissen: An diesem Tor des Nationalparks müssen wir deshalb wahrscheinlich Gebühren zahlen - es ist es uns wert. Trotzdem versuchen wir mit den beiden Rangern die uns dort völlig zu Recht anhalten zu verhandeln. Versuchen kann man es ja. Während wir reden, sucht Dismas im Wagen verzweifelt nach einem Papier. Als er es gefunden hat öffnet sich der Schlagbaum ganz ohne Gebühren. Es ist das Empfehlungsschreiben des Polizeipräsidenten von Daressalam.

Auch auf staubigen Pisten in Afrika gibt es Geschwindigkeitskontrollen. Die dazu nötigen mobilen Geräte hat Tansania aus Altbeständen der DDR erworben. Einmal erwischt es auch uns. Mitten im Nirgendwo treten auf einmal zwei weißgekleidete Verkehrspolizisten aus einem Busch auf die Fahrbahn. In der Hand eine Radarpistole. Zunächst zeigen sie uns an, dass wir stoppen sollen. Als wir näher kommen winken sie uns durch. Das wundert uns, denn wir waren zu schnell. Dismas versucht es uns so zu erklären: Die beiden hätten gesehen, dass wir Weiße sind – und sprächen wahrscheinlich kein Englisch.

Sowieso: Die Polizei ist anders in Tansania. Wie der ganze Straßenverkehr. Gegen 19 Uhr wird es dunkel, aber die Leute gehen natürlich nicht nach Hause. Sie bleiben auf der stockfinsteren Straße. Da es keine Straßenbeleuchtung gibt, aber flinke Fußgänger und jede Menge tiefe Schlaglöcher, muss man als Autofahrer aufpassen. Dazu kommt: Fast alle anderen Autos fahren permanent mit Fernlicht. Sofern sie Licht haben. Unglaublich wie viele Autos und Lastwagen einem in dunkelster Nacht ohne Licht begegnen. Erwischt die Polizei einen von diesen Wagen, muss der Fahrer Strafe zahlen. Aber: Danach darf er weiterfahren. Anderswo gibt es ja auch noch Polizisten, die etwas verdienen müssen, erklärt uns Pater Evodi.

Wahrscheinlich gilt aus genau diesem Grund der Straßenverkehr als Todesursache Nummer 1 unter Touristen. Anders als auf Malaria und Schlangenbisse bereitet einen darauf keiner vor. Auch wir haben jede Menge Unfallstellen passiert. Oft verunglückte Lastwagen. Besonders im Gedächtnis ist mir eine Stelle auf der Straße von Daressalam nach Morogoro geblieben. Mit chinesischer Entwicklungshilfe und Arbeitskraft wurden auf dieser Strecke zahlreiche neue Brücken gebaut. Das Baumaterial ist dabei einfach: Die Gerüste und Absperrungen sind aus Holz. Die Straße wird währenddessen durch das ausgetrocknete Flussbett umgeleitet. Bei unserer ersten Fahrt steckt ein LKW fast senkrecht in einem der Gerüste. Das Führerhaus liegt völlig platt unter dem Container im Bachbett. Bei unserer zweiten Passage wird mit großem Aufwand und einem Kranwagen versucht den LKW zu bergen. Beim dritten Mal stellen wir fest, dass der Kran bei diesem Versuch ebenfalls in die Baustelle gestürzt ist. Beim vierten Mal ist noch ein zweiter Lastwagen verunglückt: Er ist bei der Fahrt durch die Umleitung ins Flussbett gekippt. Falls jemand in nächster Zeit von Daressalam nach Morogoro fährt: Ob die Brücke heute steht interessiert mich wirklich!

Alle Artikel über meine Zeit in Tansania gibt es hier.


tl;dr: Sieben kurze Geschichten über meine Zeit in Tansania, die es bisher nicht in den Blog geschafft haben. 

Samstag, 31. Mai 2014

Tansania 2003: Sechs Stunden bis Dubai


Flughafen Mwanza.
Der Flughafen von Mwanza ist winzig. Eigentlich besteht er nur aus einem einzigen einstöckigen Gebäude. Müsste ich wetten, würde ich sagen dass er noch aus der britischen Kolonialzeit stammt. Im Gebäude gibt es zwei Räume: Im ersten befindet sich der Schalter, die Gepäckaufgabe - ein Loch in der Wand durch das die Koffer nach draußen auf eine Karre geladen werden - und die Sicherheitskontrolle. Im zweiten Raum stehen jede Menge alte Sofas in allen möglichen Farben und Stilen: der Wartebereich.

Um den großen Zeitverluste durch die Zollformalitäten ein wenig aufzufangen, haben wir uns entschieden für den Rückweg nach Daressalam den Flieger zu nehmen. Gebucht haben wir bei einer Chartergesellschaft: Precision Air. Ich erwarte irgendeine kleine Propellermaschine und bin entsprechend überrascht als am Fenster auf einmal ein riesiger Reifen vorbeirollt: Wir Fliegen mit einer 737 von Kenya Airways. Das Flugzeug ist größer als das Flughafengebäude.

Erst im Flieger fällt mir auf, dass noch zwei Taschenmesser in meiner Jacke und Hose habe. Der Metalldetektor im Flughafen hatte nicht angeschlagen. „Wahrscheinlich kein Strom!“ erklärt mir unser Begleiter Dismas. Er hat sein Messer pflichtbewusst am Schalter abgegeben - in Daressalam kommt es, anders als versprochen, jedoch nie an.

Unterwegs mit Dismas und Schwester Adella.
So lassen wir Musoma. das erste Ziel unserer Reise, hinter uns. Auch hier konnten wir, gemeinsam mit Bischof Justin Samba und Schwester Adella, mehrere von der Aktion Mission- und Leprahilfe geförderte Entwicklungshilfeprojekte besichtigen. Für das Abendessen ließ der Bischof extra eine Ziege schlachten und bereitete meinem Vater gemeinsam mit den Ordensschwestern und einer Tanzgruppe eine zwar verspätete, aber beeindruckende afrikanische Geburtstagsfeier.

Während die Ziege gebraten wird, erkunde ich die Umgebung. Gleich hinter dem Haus des Bischofs erhebt sich ein Kopje – also ein kleiner Berg aus Granitfelsen. Auf den Felsen und in den Bäumen wimmelt es von kleinen Affen. Es macht mir großen Spaß sie zu beobachten. Auch die Affen haben Spaß. Erst als ich zurück komme warnen mich die Mitarbeiter vor den Schlangen am Kopje. Glück gehabt.

Zurück in Daressalam nutzen wir den Samstag für eine Überfahrt nach Sanzibar, wo wir mit Bischof Augustinus Shayo verabredet sind um einige geförderte Projekte zu besichtigen. Gemeinsam mit seinen Ordensschwestern leistet er besonders für Aids-Waisen und Kinder mittelloser Eltern sehr viel. Die Fahrt mit dem Schnellboot dauert etwa 2 Stunden. Dismas und seine kleine Tochter laden wir ein uns zu begleiten. Bevor die Fahrt losgeht, gibt es erneut eine Sicherheitskontrolle. Kinder müssen jedoch nicht durch den Metalldetektor. Besonders sicher.

Mit Dismas und seiner Tochter auf Sansibar.
Auf Sansibar werde ich zum illegalen Einwanderer. Denn das man für diese Reise seinen Pass benötigen könnte, war mir einfach nicht klar. Sansibar ist immerhin ein Teil von Tansania. Erst auf dem Boot werde über mein Versäumnis informiert. Die Lösung hat Dismas auch schon parat: Ich soll einfach nicht ins Kontrollhäuschen gehen, sondern draußen auf meinen Vater und ihn warten. Das klappt. Sansibar selbst ist toll, die Stone Town beeindruckend. Und: Während mich der Überfall in Daressalam vorsichtig gemacht hat, fühle ich mich hier völlig sicher. Die Rückfahrt erfolgt bei hohen Seegang. Die meisten Passagiere finden es furchtbar. Ich stehe vorne am Bug und genieße das auf und ab der Wellen.

Poor Peoples Cola: Kokosmilch am Fahrbahnrand.
Am nächsten Tag machen wir uns nach der Sonntagsmesse mit dem zweiten Lastwagen auf den 220 km langen Weg nach Morogoro. Dort erwartet uns bereits unser Freund Pater Evod Shao, für dessen Pfarre der LKW bestimmt ist. Unterwegs löschten wir unseren Durst mit der Milch einiger frischer Kokosnüsse - poor Peoples Cola. Die Jungs die sie am Straßenrand verkaufen, holen sie einem für 1.000 tansanische Schilling, umgerechnet etwa 1 Euro, von den hohen Palmen. Frisch schmeckt die Kokosmilch ganz anders.Sprudelnd, fast als wäre sie mit Kohlensäure versetzt. Zudem erhalten die Nüsse dann noch mehr Milch und weniger Fleisch, das auch nicht fest sondern recht labberig ist. Mit einem Löffel kann man es ablösen.

Es ist unsere letzte Fahrt mit einem der Bedfords. Den dritten LKW, bestimmt für die Diözese Mahenge, müssen die Empfänger selbst in Daressalam abholen. Für uns reicht die Zeit nicht mehr. Mit Emirates geht es zurück nach Deutschland. Sechs Stunden bis Dubai, dann nach Düsseldorf. Es ist Nacht, als ich den letzten Blick auf Afrika werfe.


Alle Artikel über meine Zeit in Tansania gibt es hier.


tl;dr: Sansibar, Kokosmilch und mein letzter Blick auf Afrika.