Straßenszene in Tansania. |
Nach unserem Wochenende in Morogoro und Bagamojo geht es am Indischen Ozean vorbei zurück nach Daressalam. Dort wollen wir die drei mit Hilfsgütern beladenen LKW abholen, die die Aktion Mission und Leprahilfe Schiefbahn viele Wochen vorher nach Tansania verschifft hat. Unser Ziel deshalb: Das TEC - der Sitz der Tansanischen Bischofskonferenz (Tanzanian Episcopal Conference) in Kurasini. Eine Mischung aus Tagungshotel, Verwaltungsgebäude und Hilfsgüterverteilzentrum. Da die Verwaltung der katholischen Kirche als verlässlicher und weitgehend unbestechlicher Helfer vor Ort gilt, hat die Leprahilfe sie als Empfänger der Lastwagen bestimmt. Allerdings erleben wir bei der Ankunft eine böse Überraschung, denn die LKW stehen noch im Hafen. Seit Wochen. Der Sachbearbeiter hinter dem computerlosen Schreibtisch, der über und über mit Frachtpapieren beladen ist, kann uns nicht helfen. Am nächsten Tag wollen wir uns selber zur Hafenbehörde aufmachen. Die nicht einkalkulierten Standgebühren des Hafens erscheinen uns an diesem Tag noch als das Hauptproblem. Die Wartezeit und die Formalitäten die folgen werden, können wir uns zu diesem Zeitpunkt gar nicht vorstellen.
Dala-Dalas in Daressalam. |
Zumindest passiert folgendes: Als mein Vater die Gruppe passiert packt einer der Jungs zu. Er legt ihm seinem Arm um den Hals und versucht ihn nach hinten umzureißen. Mit dem Ellenbogen meines Vaters hat er offensichtlich nicht gerechnet, denn der streckt ihn längs nieder. Was folgt ist ein ausgewachsener Faustkampf, der in meiner Erinnerung ewig lange dauert aber in Wirklichkeit wohl innerhalb von Sekunden vorbei war. Einem haue ich die Tasche mit der Kamera an den Kopf - die einen Knacks abbekommt (was die Qualität der Bilder zumindest etwas entschuldigt). Als die Jungs merken dass wir uns wehren, greifen sie sich fussballgroße Steine vom Straßenrand und werfen Sie auf uns. Was ein Kopftreffer mit so einem Felsen anrichten soll war klar. Meinen Vater treffen sie jedoch „nur“ in die Seite, bevor sie in Windeseile verschwinden.
Denn ein Dala-Dala - ein kleiner privater Bus der ganz ohne Fahrplan den ÖPNV in Tansania ersetzt - hat mit quietschenden Reifen neben uns gehalten. Zwar denke ich erst: „Oh nein, noch mehr von denen!“, aber die schätzungsweise zehn bis zwölf Leute die aus dem Kleinbus springen retten uns.
Angehalten wurde der Bus von Sister Symphorosa, einer Nonne die zufällig vorbei kam und sich entschieden hat zu helfen. Während der Fahrer weiterfahren will, da er Angst um den neuen Wagen hat, mobilisiert sie die anderen Fahrgäste. Dem Fahrer bleibt nichts anderes übrig als eine Vollbremsung im Staub am Rand der Straße hinzulegen. Wir sind, bis auf den Stein in die Niere, unverletzt und bis auf meine Sonnenbrille, die mir im Kampf heruntergefallen war, unbestohlen.
Weshalb die Diebe damals weggelaufen sind? In Tansania wird ihnen kurzer Prozess gemacht, wie uns später erzählt wird. Ein alter Autoreifen und etwas Benzin lassen sich überall auftreiben. Plötzlich bin ich froh, dass die Jungs davongekommen sind. Die Passagiere des Dala-Dala schimpfen derweil auf die beiden mit Schrotflinten bewaffneten Wachmänner ein, die am Firmentor auf der anderen Straßenseite ihren Dienst tun. „Die kannten die Diebe bestimmt“ werden wir entschuldigend informiert.
Was mir während des Überfalls durch den Kopf ging? Zunächst habe ich an die gutgemeinten Tipps gedacht, die man für einen solchen Fall erhalten hat: Alles hergeben, auf keinen Fall das eigene Leben riskieren. Aber: Der Überfall ging schon als Kampf los, und zudem hatten wir alle Frachtpapiere für die LKW dabei. Die durften wir nicht verlieren. Dann denkt man ans weglaufen, aber wohin läuft man in einer fremden Stadt? Und schließlich dachte ich an afrikanische Krankenhäuser und ans Sterben.
Wenn mich heute übrigens jemand fragen würde, wie die vier Kerle aussahen - ich könnte es nicht sagen. Sie waren schwarz. Es waren meine ersten Tage in Afrika. In jeder Menschenmenge habe ich in den kommenden Wochen gedacht: „Das könnte einer von denen sein.“ Der stärkere Gedanke aber, der mir bis heute hilft, war der: Vier haben uns überfallen, aber zwölf kamen uns zur Hilfe. Die Welt ist so schön und wert, dass man um sie kämpft.
Alle Artikel über meine Zeit in Tansania gibt es hier.
tl;dr: Mein Vater und ich wurden bei unserer dreiwöchigen Reise durch Tansania fast ermordet, aber wunderbar gerettet.