Als ich ihn das erste Mal live sah, war er wie ein Berg. Im Bundestagswahlkampf 1998 sprach der Kanzler auf dem Neusser Münsterplatz. Ich, frischgebackenes CDU-Mitglied, war mit meinem SoWi-Leistungskurs vor Ort. Der Hubschrauber flog einmal dicht über den Platz, bevor er zum Landen hinter St. Quirinus verschwand. Helmut Kohl hätte die Bühne von hinten betreten können, aber er nahm den Weg durch die Menge. Was für eine Gestalt. Nicht dick, wie alle sagen, sondern vielmehr groß ist er mir in Erinnerung. Die Umstehenden körperlich überragend. Wie ein Schiffsbug teilte er Schar der Menschen. Vom kleinen Norbert Blüm, der ihn als Landesvorsitzender der CDU NRW begleitete, sah man - im leeren Raum hinter Kohl - nur die Haarspitzen.
Am Ende des Müsterplatzes, hinter der Absperrung für angemeldete Gäste, standen Linke und Gewerkschaft mit Trillerpfeifen, bemüht ja kein Wort zu verstehen. An diesem Tag war ich stolz in der Union zu sein.
Kohl war mein Kanzler. An einen vor ihm kann ich mich nicht erinnern. Als ich 1997 in die CDU eintrat, tat ich es auch wegen ihm. Seine Plakate hatte ich schon als Schulkind aufgehängt. Die Niederlage 1998, meine erste Bundestagswahl als Parteimitglied, war der Anstoß mich noch stärker zu engagieren. Jetzt erst recht.
Er war die erste Person, die ich jemals um ein Autogramm gebeten habe. Als Grundschulkind schrieb ich einen Brief an die Bonner Parteizentrale. Die Antwort, in der ein Mitarbeiter schrieb, dass der Kanzler sich sehr über "die zum Ausdruck gebrachte Zuneigung" gefreut habe, werde ich nie vergessen.
Bei all den Nachrufen gestern und heute, fallen mir so viele Dinge ein. Viele rühren, einige sind das billige Nachtreten von Gestalten die bald vergessen werden. Kohl trage eine Mitverantwortung für die Schwächen des Euro, heißt es unter anderem. Klar, denn ohne Kohl gäbe es ihn nicht. Wie viel mehr als eine Währung ist er, Kohl hat das gesehen. Er hat gehandelt, wo andere zögerten. Er habe Dinge ausgesessen, wird gesagt. Aber es waren nie die Dinge, die ihm wirklich am Herzen lagen. Die Einheit unserer Nation in einem friedlichen Europa ist sein Lebenswerk. Ich wünschte, wir hätten heute mehr Politiker wie Helmut Kohl. Ich bin ihm unheimlich dankbar. Und traurig.